Im Notfall droht Versagen


Wie heute die Deutsche  Umwelthilfe in der neuen Ausgabe von zeo2 öffentlich gemacht hat, bemühen sich  seit Jahrzehnten Reaktorexperten der Industrie und staatliche  Sicherheitsfachleute ein so banal scheinendes wie brisantes Problem zu lösen.

Bisher vergeblich. Bei einem Kühlmittelverlust würde in manchen Fällen die  eingeplante Notmaßnahme, über sogenannte Sumpfpumpen wieder Wasser in die  überlebenswichtige Kühlung zu drücken, versagen. Der Unfall mit Totalschaden  des Gundremminger Blocks A am 13. Januar 1977 spielt hierbei, wie jetzt  erstmals öffentlich wird, eine Rolle.


Ein Versagen der  Notfallpumpen ist, als wenn bei einem PKW, der eine Vollbremsung machen muss,  und es zufällig kälter als minus fünf Grad ist, die Bremsflüssigkeit  verklumpte und so die Bremse ausfiel.

Da selbst nach  Abschaltung eines Reaktors der nur langsam zurückgehende Kernzerfall noch  gewaltige Wärmemengen frei setzt, die bei Nichtableitung zum Kernschmelzunfall  und somit zur Reaktorzerstörung und katastrophalen Freisetzung von Radioaktivität führen würden, sind alle Reaktoren unter andrem mit einem  Sumpfsystem für den Notfall ausgestattet: Entweichendes Wasser wird aus dem  Gebäude mit Sumpfpumpen wieder in den Kühlkreislauf gedrückt. Vor diesen  Pumpen sitzen Siebe.

Mehrfach ist es bisher  bei Störfällen mit Leckagen passiert, dass Wasserstrahlen in großen Mengen  Isoliermaterial von Rohrleitungen und Behälterwänden gelöst haben. Dieses  wurde zusammen mit Korrosionsprodukten zu den Pumpen gezogen und verstopfte  dort die Siebe, so dass die Pumpen ausfielen.

Ein gravierender Fall,  der bisher nicht öffentlich gemacht worden ist und relativ glücklich ausging,  ereignete sich am 13. Januar 1977 in Deutschlands erstem kommerziellem  Großkernkraftwerk, dem Block A in Gundremmingen. Bei einer in Folge eines Kurzschlusses notwendigen Schnellabschaltung riss ein falsch ausgelegtes  Sicherheits- und Entlastungsventil. Heißes, radioaktives Wasser schoss unter  hohem Druck heraus, traf Isoliermaterial, löste dies ab und schwemmte es zu  den Pumpen.

Da jedoch eine  Notkondensation funktionierte, brauchten die Sumpfpumpen nicht zu arbeiten.  Der Reaktor konnte abgeschaltet und die erforderlichen Tage und Wochen  ausreichend gekühlt werden. Allerdings wurden einige Anlagenteile stark geschädigt, so dass der Unfall zum Totalschaden  führte.

Als der Reaktor  abgeschaltet und die Anlage etwas dekontaminiert worden war, wurde der  Atommeiler inspiziert: Dabei fand man sowohl nicht erwartete gefährliche  Rohranrisse als auch viel Isoliermaterial vor den Sieben, das bei einem  Einschalten der Sumpfpumpen diese nach einiger Zeit verstopft  hätte.

Gott sei Dank ist die  Wahrscheinlichkeit großer Atomunfälle wohl nicht so hoch. Sie geschehen „nur“  alle paar Jahre: September 1957 im russischen Majak und im Oktober 1957 im  englischen Windscale (heute Sellafield), im Januar 1969 in Lucens (Schweiz),  im März 1979 im amerikanischen Harrisburg, im März 1980 im französischen Saint  Laurent, im September 1982 und dann im April 1986 im ukrainischen Tschernobyl,  im Dezember 2001 in Brunsbüttel in Schleswig-Holstein, im April 2003 im  ungarischen AKW Paks, im Juli 2006 im schwedischen AKW Forsmark und im Juli  2007 im japanischen AKW Kashiwazaki. Und von diesen Unfällen führten  vermutlich „nur“ drei oder vier zu sofortigen Strahlentoten und zu zig oder tausenden späteren Krebstoten.

Das Einzigartige an  großen AKW-Unfällen ist, dass nicht nur die Menschen auf dem Betriebsgelände  und in der näheren Umgebung verletzt oder getötet werden, sondern die Menschen  vieler Landkreise direkt durch die Strahlenkrankheit oder langfristig durch  Krebsverursachung leiden und sterben.

Dies würde zur  Evakuierung hunderttausender Menschen und jahrhundertelanger Sperrung von  Landkreisen führen. Große AKW-Unfälle sind zwar relativ selten, sind aber  lebens- und sogar landesgefährlich.

Eine Dimension, die  mit anderen katastrophalen Unfällen, wie wir sie in Chemiefabriken oder bei  Tankwagen erleben, nicht vergleichbar ist. Auch die Jahrzehnte und  Jahrhunderte anhaltenden Folgen sprengen unsere heutigen Erfahrungen und Vorstellungen.

Seit Jahrzehnten  beraten die Experten über das scheinbar banale Isoliermaterialproblem. Die  Deutsche Umwelthilfe machte heute öffentlich  www.duh.de/pressemitteilung.html, dass im März 2009  die Reaktorsicherheitskommission (RSK) und die Gesellschaft für Anlagen- und  Reaktorsicherheit (GRS) als Berater- und Gutachterorganisationen der  Bundesregierung übereinstimmend erklärt haben, dass der sicherheitstechnische  Nachweis zur Beherrschung entsprechender Störfälle nicht erbracht sei. Viele  experimentelle Versuche mit unterschiedlichem Isoliermaterial und  verschiedenartigen Siebgrößen haben bisher noch nicht zu einem  Sicherheitsnachweis geführt.

Um noch mal den  Vergleich zu machen: Autohersteller müssen nachweisen, dass ihre Wagen auch  bei minus fünf Grad die Vollbremsung beherrschen. Die AKW-Betreiber hingegen  können nicht nachweisen, dass im Notfall auch ihre Sumpfpumpen arbeiten  werden.

Bei den älter  werdenden Reaktoren nehmen zudem die Probleme mit Rostpartikeln und  Rohranrissen zu. Nur weil dieser Sachverhalt bisher nicht öffentlich war,  entstand kein ausreichender Druck auf die AKW-Betreiber.