Kernkraft:

Der zweifelhafter Reiz längerer Laufzeiten

Die Versorger haben mit einer Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken nur noch wenig zu gewinnen. Sie sollten daher lieber verzichten und sich damit eine Phase der Unsicherheit ersparen.

von Heinz Jürgen Schürmann

>>HandelsblatträtzumVerzichtauf Laufzeitverl.20.1.10+   21.01.2010   Seitenanzahl: 1<<

20.1.10 

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Die schwarz-gelbe Bundesregierung will bis zum Herbst ein Energiekonzept mit längeren Laufzeiten für die Atomkraftwerke präsentieren. Die Stromerzeugung auf nuklearer Basis genießt trotz einer mehr als 40-jährigen Erprobung immer noch keine stabile gesellschaftliche Akzeptanz, der Bau neuer Reaktoren in Deutschland ist keine Option. Aber selbst die Vereinbarung von Laufzeiten über die bisher tolerierten 32 Jahre hinaus würde für die Betreiber erhebliche Risiken bedeuten, die diese Möglichkeit unattraktiv machen.

Um die Bevölkerung angesichts des Ärgers über das Atomlager Asse zu befrieden und um schwarz-gelbe Mehrheiten bei der Wahl am 9. Mai in Nordrhein-Westfalen nicht zu gefährden, wird die Bundesregierung für längere Fristen erhebliche Zugeständnisse von den Kernkraftwerksbetreibern Eon, RWE, EnBW und Vattenfall verlangen. Der Streitwert ist hoch: Expertenrechnungen ergeben, dass sich die zusätzliche Wertschöpfung bei Laufzeiten von 60 Jahren in der Größenordnung von 200 Mrd. Euro bewegt. Durch die Gewerbe- und Körperschaftsteuer könnte der Staat bereits mehr als 50 Mrd. Euro abschöpfen. Die Betreiber müssen sich jedoch auf Sonderlasten einstellen: Wirtschaftsminister Brüderle verlangt mehr als die Hälfte der Zusatzprofite für den Staat. Im Gespräch ist außerdem die Vorverlegung der Zahlungen, deren Masse erst um 2020 anfällt.

Zweitens werden symbolische Opfer zu erbringen sein wie vorzeitige Stilllegungen besonders umstrittener Reaktoren und/oder geringere Fristen der Nutzung als die international üblichen Laufzeiten von 60 Jahren. Drittens sind ständig neue Nachrüstpflichten zu erwarten mit der Konsequenz einer Verteuerung. Viertens könnte von den betroffenen vier Unternehmen verlangt werden, Stromerzeugungskapazitäten abzugeben, damit der Wettbewerb zunimmt. Fünftens wird diskutiert, ob den Kernkraftwerksbetreibern Zusagen über einen beschleunigten Ausbau erneuerbarer Energien und höhere Energieforschungsbeträge abverlangt werden könnten.

Die Palette der Opfer lässt die Wende eher unattraktiv erscheinen. Hinzu kommt eine Eskalation in der öffentlichen Auseinandersetzung. Von einer Kalkulierbarkeit der Rahmendaten kann da keine Rede sein. Schließlich droht für den Fall neuer politischer Mehrheiten eine erneute Wende in der Kernenergiepolitik. Dagegen verspricht das bislang gültige Abkommen von 2000 ein Szenario stabiler Wertschöpfungen bis über das Jahr 2020 hinaus. Die anstehenden Verhandlungen dagegen bringen erhebliche betriebswirtschaftliche Risiken.

Volkswirtschaftlich sieht es freilich anders aus: Mit der Nutzung der Kernkraft über 2030 hinaus wäre eine Vorreiterrolle bei der Verringerung von CO2-Emissionen gut zu verkraften.