Leitartikel zu Atomkraftwerke

Gefährliche Altmeiler
Von Joachim Wille

Joachim Wille Joachim Wille (Bild: FR)

Es ist nur ein Routinetreffen. Eigentlich. Turnusmäßig setzen sich die Kernenergie-Chefs der vier Stromkonzerne heute mit der Regierung zusammen, um den "Erfahrungsaustausch" über Atomausstieg und Energiestrategie weiter zu pflegen. Diese nuklearen Tete-à-tetes sind im "Atomkonsens" festgelegt, den Wirtschaft und Politik im Jahr 2000 geschlossen haben.

Natürlich: Es ist nicht nur ein Routinetreffen. Es geht im Jahr eins nach Bildung der Wunschkoalition der Stromriesen darum, jene historische Entscheidung zu revidieren, die erstens den Atomkonflikt im Land weitgehend befriedet hat und zweitens die Voraussetzung für den beschleunigten Umstieg auf erneuerbare Energien ist. Es werden heute keine Entscheidungen dazu fallen. Dazu ist die Materie viel zu komplex. Doch die Strombosse werden mit aller Macht darauf drängen, dass die Merkel-Regierung den bald drohenden Exitus ihrer Handvoll Altmeiler wie Neckarwestheim 1 und Biblis abwendet. Das verbirgt sich hinter dem nüchternen Tagesordnungspunkt "Situation der Kernkraftwerke mit weitgehend verbrauchten Strommengen". Die Sache brennt den AKW-Betreibern, die sich mit runtergedimmten Reaktoren bis über die Bundestagswahl tricksten, gewaltig unter den Nägeln.

Dass es überhaupt so weit kommen konnte, ist einerseits ein gutes Zeichen. Es zeigt: Nicht einmal die "Wunschkoalition" traut sich, den Ausstieg aus dem Ausstieg gegen die geballten Warnungen von Energie-, Umwelt -und Kartell-Experten durchzuwinken. In den Koalitionsverhandlungen schaffte Schwarz-Gelb es nicht, konkrete Festlegungen zur AKW-Laufzeitverlängerung zu treffen. Erstaunt nahm die Öffentlichkeit zur Kenntnis: Die beiden Parteien hatten jenseits ihres Schlachtrufs "Atom soll bleiben" kein klares Konzept für die Energiezukunft des Landes. Doch diese Konzeptionslosigkeit ist auch hoch gefährlich. Denn es drohen Entscheidungen zu fallen, die nur deswegen fallen, weil mächtige Konzerne mächtig Druck machen.

Wie das läuft, kann man bei FDP-Wirtschaftsminister Rainer Brüderle sehen. Der selbsternannte Kämpfer gegen die Übermacht der Konzerne macht regierungsintern Druck. Er plädiert offensiv für die AKW-Reanimation und macht regierungsintern Druck, den Stromkonzernen schnell Klarheit über den Laufzeit-Zuschlag zu verschaffen. Der mangelhafte Wettbewerb im Strommarkt, in dem die "Großen Vier" mehr als 80 Prozent des Stroms liefern, wird damit zementiert. Das weiß Brüderle natürlich, Kartellamtschef Andreas Mundt hat es ihm gerade erst wieder gesagt. Folgen hat es nicht. Das ist das Problem.

Doch mit Schwarz-Gelb droht nicht nur die Konservierung von Konzernmacht, sondern auch ein gefährlicher Rückschritt beim klimafreundlichen Umbau des Energiesystems. Wer Atomkraftwerke länger am Netz lassen will, verstopft, bildlich gesprochen, die Netze für mehr Ökostrom. Letzterer braucht nämlich zur Ergänzung keine Mega-Stromzentralen, sondern einen neu zu bauenden Kraftwerkspark, der flexibel ist, hocheffizient und dezentral. Die Kernkraft wird, wenn die Atomfans der FDP und vom Wirtschaftsflügel der Union sich durchsetzen, keine "Brückentechnologie". Sie wird, wie es der Umwelt-Sachverständigenrat der Bundesregierung formulierte, eine "Verhinderungstechnologie".

Union und FDP werden, der breiten Kritik zum Trotz, ihr Wahlversprechen einhalten und die Atome länger strahlen lassen. Mit ihrer Entscheidung, auch den AKW-Export in Schwellenländer trotz aller Bedenken wieder kräftig zu fördern, haben sie das Signal gesetzt. Als letzte Hoffnung bleibt also nur, dass sich beim Thema Laufzeit-Ver­längerung die besonneneren Kräfte in der Union durchsetzen, die diese an strenge Kriterien koppeln wollen.

"Safety first" muss das erste davon sein. Also: Kein Persilschein für alle Reaktoren, sondern Einzelprüfung und mehr Lebensjahre nur für solche Anlagen, die modernen Sicherheitskriterien entsprechen. AKW, die wie die Abschaltkandidaten Neckarwestheim 1 und Biblis A nicht gegen Abstürze größerer Flugzeuge ausgelegt sind, gehören nicht dazu. Weitere Bedingung: Die dann entstehenden Extragewinne der Konzerne müssen nicht nur zur Hälfte, sondern komplett zur Förderung und Weiterentwicklung der erneuerbare Energien eingesetzt werden. Damit könnten Eon, RWE und Co. zeigen, dass sie ihre Bekenntnisse zur Klimawende im Energiesytem wirklich ernst meinen.



Kernkraft

Die Tricks der Konzerne
Von Joachim Wille

Tips der Konzerne   Atomkraftgegner (Bild: dpa)

Die "Abschaltparty" muss die Chefs der Stromkonzerne gewaltig geärgert haben. So etwas, dachten sie wohl, dürfe es nie wieder geben. Heute sind sie nahe dran, dass ihr Wunsch wahr wird.

Jürgen Trittin, seinerzeit Umweltminister, war persönlich gekommen an diesem Novembertag 2003. Diesen Triumph wollte er sich nicht entgehen lassen. Die Grünen feierten eine Ausstiegsparty - in Stade an der Unterelbe. Das war drei Jahre, nachdem die Stromkonzerne mit der damaligen rot-grünen Bundesregierung den Atomausstiegs-Konsens für die 19 deutschen Kernkraftwerke unterschrieben hatten. Das Eon-AKW Stade ging vom Netz. Im Mai 2005 erwischte es dann nur noch einen weiteren Reaktor: den baden-württembergischen Nuklearmethusalem Obrigheim.

Die heimliche Hoffnung der Strommanager trog, ab Herbst 2005 würde eine neue schwarz-gelbe Bundesregierung den Ausstieg aus dem Ausstieg organisieren. Die große Koalition hielt dank SPD am Konsens fest, und so wurde es für die nächsten Abschaltkandidaten Neckarwestheim 1 und Biblis A eng und enger. Ihre Laufzeit - laut Atomkonsens rund 32 Jahre - wäre bei Normalbetrieb bereits 2007 oder 2008 zu Ende gewesen. Doch die AKW-Betreiber EnBW und RWE griffen in die Trickkiste, um ihre Atom-Oldies über die nächste Bundestagswahl zu retten.

Wie das ging? Der baden-württembergische Konzern EnBW nennt es eine "betriebswirtschaftlich optimierte Fahrweise des Kraftwerks", dessen beide Blöcke nur ein paar hundert Meter hinter den letzten Häusern der schwäbischen Gemeinde Neckarwestheim mit ihren 3500 Einwohnern stehen. Zu Deutsch: Das Unternehmen lässt den älteren der beiden Reaktoren mit verminderter Leistung laufen. Das streckt die Restlaufzeit. Im Atomkonsens sind nicht Jahre, sondern "Strommengen" fixiert, die noch produziert werden dürfen, bevor die Betriebsgenehmigung erlischt.

Auch beim südhessischen RWE-Meiler Biblis A lief es so. Auch hier wurde "optimiert". Eher unfreiwillig, zudem teuer erkauft, gewann der Konzern Zeit, weil der Reaktor wegen Umbauarbeiten 2006 ein Jahr lang vom Netz ging. Tausende falsch montierte Dübel mussten ausgetauscht werden. Doch das reichte nicht. RWE-Chef Jürgen Großmann persönlich erläuterte in einem Interview, was man sich deswegen ausgedacht hatte: Man könne den Reaktor so "fahren, dass wir mit den Restlaufzeiten über die nächste Bundestagswahl kommen". Dann gebe es nämlich vielleicht ein anderes Denken in Bevölkerung und Regierung. Politiker von SPD und Grünen empörten sich: Verträge mit Energiemanagern seien "offenbar das Papier nicht wert, auf dem sie stehen". Folgenlos. Zuletzt gab der Bibliser Kraftwerkschef Anfang 2009 zu, die "Fahrweise für Block A" werde entsprechend "optimiert".

Doch die Stromkonzern-Chefs hatten nicht damit gerechnet, wie weit sich der AKW-Ausstiegs-Bazillus bereits ausgebreitet hatte. Nach dem schwarz-gelben Triumph bei der Wahl 2009 schien ein konkreter Beschluss für die Laufzeitverlängerung nur noch Formsache. Doch die Wunschpartner CDU und FDP quälten sich bei den Koalitionsgesprächen und schoben konkrete Beschlüsse auf die lange Bank.

Folge: EnBW und RWE werden immer nervöser, während Eon mit seinem etwas jüngeren AKW-Park und Vattenfall wegen der Dauer-Stillstände seiner Pannenmeiler Brunsbüttel und Krümmel dem Berliner Hickhack noch entspannter zusehen.

Am brenzligsten ist die Lage inzwischen bei EnBW, also in Baden-Württemberg, das mit rund 50 Prozent einen sehr hohen Atomstromanteil hat. Die Reststrommenge von Neckarwestheim 1 könnte Insidern zufolge bereits im Mai aufgebraucht sein. Konzern-Chef Hans-Peter Villis forderte denn auch im November, eine Art Moratorium zum Schutz für die vom Exitus bedrohten Altmeiler zu erlassen. Wenn so etwas nicht kommt, bleibt nur der neuerliche Versuch, Strommengen vom einem neueren AKW auf Block 1 zu übertragen, was SPD-Umweltminister Sigmar Gabriel 2008 noch untersagt hatte.

Ansonsten bleibt EnBW nur: abschalten, bevor die letzte Kilowattstunde produziert ist. Aber nicht produzierende AKW sind teuer. Und welcher EnBW-Aktionär mag das schon?

 

Atomkraftwerke in Deutschland
 



21.1.10 
http://www.fr-online.de/in_und_ausland/wirtschaft/debatte_energie_der_zukunft/2220150_CSU-Umweltexperte-Goeppel-Jeder-Reaktor-auf-den-Pruefstand.html

CSU-Umweltexperte Göppel

"Jeder Reaktor auf den Prüfstand"

CSU-Umweltexperte Josef Göppel stellt im FR-Interview den AKW-Betreibern harte Bedingungen zur Notwendigkeit: Oberstes Kriterium muss die Sicherheit sein. Jeder Reaktor muss vorher geprüft werden.

Josef Goeppel   Josef Göppel (Bild: ddp)

Herr Göppel, die neue Bundesregierung will die Kernkraftwerke länger laufen lassen. Sollte das für alle 17 Anlagen gelten?

Eine pauschale Laufzeitverlängerung kann es nicht geben. Die Entscheidung muss in jedem Einzelfall nach dem technischen Zustand der Anlagen getroffen werden. Jeder Reaktor muss vorher auf Herz und Nieren geprüft werden.

Also ist denkbar: Einige AKW bestehen den Test nicht und müssen doch abgeschaltet werden - etwa, weil sie gegen Abstürze größerer Flugzeuge nicht nachrüstbar sind?

Genau das bedeutet es.

Wie viel Jahre "Zuschlag" zu den rund 32 Jahren Laufzeit, die der Atomkonsens vorsieht, halten Sie für angemessen?

Es sollten weniger als zehn Jahre sein. Der Zuschlag muss sich danach bemessen, wie viel Zeit wir noch brauchen, um die Kernkraft durch erneuerbare Energien zu ersetzen. Dafür brauchen wir keine zehn Jahre Laufzeit zusätzlich. Zudem hat die deutsche Energiewirtschaft 2009 netto über 14 Terawattstunden Strom exportiert - das entspricht der Leistung von zwei Kernkraftwerken. Auch unter diesem Gesichtspunkt muss die Notwendigkeit von Laufzeitverlängerungen kritisch überprüft werden.

Welche Bedingungen sollten die Stromkonzerne für das Entgegenkommen der Regierung erfüllen?

Union und FDP sind sich einig, dass der größte Teil der durch die Laufzeitverlängerung entstehenden Gewinne für Zwecke der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt werden muss - etwa für die Förderung der erneuerbaren Energien. Das heißt für mich: 75 Prozent. Fällt die Begrenzung der Laufzeiten, dann müssen zudem die Gegenleistungen fallen, die im Ausstiegsvertrag von 2000 stehen - nämlich die steuerliche Begünstigung der Rücklagen für die Atomentsorgung und die Begrenzung der Versicherungspflicht für Reaktoren. Jeder, der ein Windrad aufstellt, muss die Risiken voll absichern, bei Kernkraftwerken aber ist die Schadenssumme auf 2,5 Milliarden Euro begrenzt. Das ist viel zu wenig.

Wenn die Unternehmen darauf nicht eingehen, was dann?

Dann darf es keine Laufzeitverlängerung geben. Die Koalition muss ja ihre Glaubwürdigkeit behalten.


Wie schnell sollte über die Laufzeitverlängerung entschieden werden?

Die Atomkraft soll eine Brückenfunktion übernehmen, bis die erneuerbaren Energien genügend entwickelt sind. Dazu muss ein stimmiges Energiekonzept erarbeitet werden, bis wann die Vollversorgung mit ihnen erreicht werden kann.

Die Stromwirtschaft macht aber Druck, sehr schnell zu entscheiden. Der Konzern EnBW müsste sein AKW Neckarwestheim bald abschalten, weil die genehmigte Strommenge zu Ende geht.

Jede Regierung muss sich an geltendes Recht halten. Der Atomkonsens gilt, es gibt noch kein neues Gesetz.


Also bliebe für die EnBW nur die Möglichkeit, eine Strommengenübertragung von einem neuen auf ihr ältestes AKW zu beantragen?

Das wäre eine Möglichkeit. Aber: Oberstes Kriterium muss die Sicherheit des Reaktors sein.

Das Bundesumweltministerium hat solche Übertragungen immer abgelehnt, als es noch von Sigmar Gabriel (SPD) geführt wurde.

Wenn er das aus Sicherheitsgründen getan hat, war das richtig. Wenn es nur politisch motiviert war, nicht. Die Frage, ob die Sicherheit ausreicht, muss objektiv beantwortet werden - und auch öffentlich nachvollziehbar.

An dieser Frage müsste wohl auch der Abteilungsleiter für Nuklearsicherheit im Bundesumweltministerium, Herr Hennenhöfer, mitwirken, den führende Juristen hierbei für befangen halten. Er hat beim Atomkonsens auf Seiten der Stromkonzerne verhandelt.

Ich denke, dass Umweltminister Norbert Röttgen diese Probleme sehr genau bedacht hat. Er wird in der Dienstführung von Herrn Hennenhöfer sicher darauf achten, dass es keinen Anlass zu Klagen gibt.